01 Januar 2011

Bosheit und Niedertracht (6)

die kleinliche Rache der Macht
 

Was bisher geschah:
Student Lennart steckt mitten in der Diskussion mit zwei dubiosen Typen, die ihm schon die Tür eingetreten und verschiedene wertvolle Dinge zerstört haben. Sie sind erstaunlich gesprächig aber der Zusammenhang ist ihm ein Rätsel.




"Für einen angehenden Ingenieur weißt du aber ganz schön wenig, Lennart. Bist du sicher, dass das der richtige Beruf für dich ist?"
"Nein."
"Dachte ich mir. Oh, sieh mal Wladimir, da steht ein Aktenvernichter. Ein Student mit einem Aktenvernichter!"
Jurii nickte.
"Hast du tatsächlich so viele Akten zu vernichten, Lennart?"
"Das war ein Geschenk. Von meinen Eltern. Zum Vordiplom."
"Und da hat der Herr Student einen Reißwolf herumstehen, nur für den Fall ... nicht wahr, Wladimir?"
Lennart war verwirrt: "Jurii?"
Juri drehte sich zu ihm und blickte ihn fragend an.
"Ach, nichts."
Juri sah wieder interessiert den Aktenvernichter an. Der kleinere Kerl nahm die einseitige Unterhaltung wieder auf.
"Nur falls man mal viele Akten zu vernichten hat, so als Student. Wo mögen eigentlich die ganzen Musikdateien sein? Wo bewahrt man so etwas auf? Als ich in deinem Alter war, hatte ich einen richtigen Plattenschrank, Lennart! Aber damals waren die Langspielplatten noch aus Vinyl. Man konnte die Cover nicht nur sehen, sondern auch die Texte lesen. Ich habe auch eine Menge Singles. Heute liegt ja alles auf Computern. Festplatten. Und zur Sicherheit wird es dann nochmal auf CD gebrannt."
"DVD!"
"Richtig, Lennart, wir sind ja verschiedene Generationen! DVD, heute nimmt man DVD. Wladmimir, sieh doch mal nach, ob da in der Schublade DVD liegen."
"Ich brenne doch nichts mehr auf DVD!"
Lennart gab sich überlegen. Aber damit hatte er auch seinen Wissensstand preisgegeben. Jurii zog eine Schublade nach der anderen auf. Nachdem er alle durch hatte, hielt er keine Silberscheiben, aber ein paar Fotoalben und Akten in der Hand. Der kleinere Kerl sah sie interessiert an: "Ah, Erinnerungen! Sicher unwiederbringlich? Und Zeugnisse!"
"Meine Eltern haben die für mich angelegt. Mein ganzes Leben ist da drin."
Der kleine Kerl blätterte und sah rötlich schimmernde Fotos von Kindern mit Schultüte, Zeltlager, Schwimmbad, ein Foto mit einem Wohnwagen, eine Steilküste am Meer, ein Markt irgendwo im Süden, und auf den Fotos abgebildet immer ein kleiner Junge.
"Sieh an, das sind ja noch richtige Fotos!"
"Mein Vater hat früher viel fotografiert. Zum Glück habe ich die noch."
Der eine Kerl gab sich jovial: "Jaja, so Fotos sind eine tolle Sache."
Lennart war froh, dass das Gespräch jetzt wenigstens unverfänglich wurde. Er wollte das Gespäch auf diesem Niveau in Gang halten.
"Das sind die einzigen. Die Negative und die Kamera sind kaputt gegangen, als der Keller einmal unter Wasser stand."
"Siehst du, wie wertvoll sowas ist, Wladimir?"
Jurii nickte. Lennart verstand nicht, was es mit der Wladmimir-Jurii-Sache auf sich hatte. Er konnte auch nicht lange darüber nachdenken, da der kleine Kerl inzwischen herausgefunden hatte, wo der Aktenvernichter anzuschalten war.
"Sieh mal, Wladimir! Da geht er an!"
Jurii nickte. Und zu Lennart: "Halten diese Geräte, was immer versprochen wird?"
Lennart war ratlos: "Was wird denn immer versprochen?"
Jurii zog ein paar Fotos aus einem Fotoalbum und steckte sie in den Aktenvernichter.
"Das."
"Nein! Nicht! Das sind meine einzigen!"
"Ach? Tatsächlich?"
Das nächste Foto verschwand im Reißwolf. Lennart bäumte sich auf und hatte fast das Messer in der Hand von dem kleineren Kerl vergessen. Der hielt es jetzt hoch und ihm unter die Nase.
"Nicht so leicht zu vervielfältigen wie heute Dateien, was?"
"Wieso?"
"Och, nur so."
Inzwischen waren die Fotos von zwei weiteren Seiten vom Reißwolf in Streifen verarbeitet worden.
"Ich würde gerne wissen, ob er auch CDs häckselt. Oh, ich meine natürlich DVDs, Entschuldigung!"
Jurii riss eine ganze Seite aus dem Album und schob sie zusammen mit den transparenten Trennblättern in den Aktenvernichter. Dann noch eine und noch eine.
Lennart klagte erschöpft: "Bitte! Nicht! Das sind meine einzigen!"
"So eine Seite ist aber nicht so dick wie eine CD!"
Jurii steckte zwei Seiten gleichzeitig in den Schlitz des Shredders. Sie wurden ohne den geringsten Widerstand gehäckselt.
"Oha! Gute Qualität! Da haben die Eltern sich nicht lumpen lassen, was Lennart?"
Das erste Album bestand inzwischen nur noch aus Einband. Jurii ließ es fallen.
"Aber so zwei Seiten sind doch immer noch nicht so dick wie eine DVD, oder, Wladimir?"
Jurii nahm das nächste Album und riss drei Seiten heraus. Auch sie verschwanden ohne Stocken im Reißwolf. Dann versuchte er es mit vier. Lennart sah sprachlos zu. Ebenfalls kein Problem.
"Da frage ich mich, ob das Papier schlechter oder die Shredder besser geworden sind, was Wladimir?"
Das zweite Album verschwand in Vier-Seiten-Stapeln im Shredder. Nun war nur noch ein kleines Album übrig, mit Blümchen bemalt und beklebt. Jurii-Wladmir und der kleinere Kerl sahen sich an: "Du wirst das doch nicht im ganzen durchschieben wollen, oder, Wladimir?" Jurii sah in nachdenklich an und schüttelte den Kopf.
"Womöglich geht der Shredder davon kaputt!"
Jurii riss wieder jeweils vier Seiten heraus und versenkte sie im Schlitz. Am Ende waren nur noch die Einbanddeckel übrig. Auch diese schob Juri in den Reißwolf. Der kleinere Kerl meinte: "Ich glaube, er würde auch DVDs schaffen. Wirklich schade, dass du keine hier hast. Ich würde das gerne probieren."

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