23 Juli 2010

Dünkel

Wer wissen will, was man sich unter "Sprachdünkel" vorzustellen hat, kann zum Einstieg die Geschichten vom Mittelstufengermanisten Bastian Sick lesen, wo es um den Dativ geht, Genitiv und so Zeug. Wie man richtig spricht eben, seiner Meinung nach. Dort kann man lernen, sich besser zu fühlen als Leute, die falsch sprechen.

Hier kommt eine Sache für Fortgeschrittene, die vom bildungsbürgerlichen Selbstbewusstsein getragene, offenbar nicht ganz vorurteilsfreie, Beschreibung eines kleinen Missetäters, später übrigens freigesprochen. Diese stammt von der Webseite "Berlinkriminell", aus einem Gerichtsbericht, und wurde von einer Dame namens Barbara Keller verfasst. Umgangssprachlich sagt man manchmal so, "Dame", wenn man das Gegenteil meint.

Zitat:
Lothar D. (49)* ist ein schlanker, mittelgroßer Mann. Der gebürtige Berliner aus Adlershof hat sich heute fein gemacht. Er trägt einen schwarzen Anzug. Wohl den guten, den er bei passender Gelegenheit trägt, den mit dem verschlissenen Bestattercharme. Aus dem steifen Kragen seines weißen Hemdes lugt sein dünner Hühnerhals, das kurze, blonde Haar ist artig gescheitelt. Aus der Brusttasche seines Jacketts lugt ein Kavalier-Nasentuch.

Brav wartet Lothar D. auf dem Flur des Amtsgerichts Tiergarten auf den Aufruf seiner Sache; die amtliche Vorladung vor dem Bauch mit beiden Händen haltend. Der im Rahmen seiner Möglichkeiten gepflegte Frührentner ist heute wegen Beleidigung und versuchter Körperverletzung angeklagt.

...
Was die Autorin bewegt, in diesem Ton über einen armseligen Schluckspecht herzuziehen, bleibt im Dunkeln. Vielleicht ihre Herkunft. Ich assoziiere frei, jedoch aus gegebenem Anlass: Vater Studienrat, Mutter gelernte ReNo-Gehilfin, aber seit der Geburt des ersten Kindes Hausfrau, aufgewachsen im spießigsten Teil der Stadt, Doppelhausgegend, südliches Tempelhof vielleicht, Marienfelde, wo die Welt noch in Ordnung ist. Und wenn man dann außer einem Trivial-Studium auch im weiteren Leben nicht viel bemerkenswertes erlebt hat, schreibt man so über gröhlende Bierfreunde, weil man wenigstens auf die gebildet herabsehen kann.

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