07 April 2008

Das Gegenteil


Über die Fähigkeit des Autors, immer genau das Gegenteil auszulösen war bereits an anderer Stelle die Rede. Genau genommen eine ausdrückliche Wehklage. So auch heute


Argh! Es ist wieder mal so weit:

VERANLASSEN, DASS LEUTE NICHT TUN
(und zwar mit viel Aufwand)

Im aktuellen Fall geht es ums Segeln. Der Blogautor ist Chef der Berliner Abteilung der bekannten Bootsklasse.

⇒Chef⇐ heißt in diesem Fall: "Hat die Arbeit, aber nichts zu bestimmen". Bestimmen tut der Sportler selbst. Das ist ja auch irgendwie das Ideal vom mündigen Sportler. Oder grundsätzlich sogar vom mündigen Erwachsenen. Führt aber dazu, dass das Volk zuweilen anders will als die Regierung. Ach, nee, dieser Vergleich führt hier doch zu weit. Ich ziehe den Vergleich zurück.

Eine der Aufgaben des Chefs ist es, neue Teilnehmer zu gewinnen. Das geschieht dadurch, dass man die Vorzüge schildert und Interessenten betreut, auf ihre Fragen eingeht und beim Einstieg hilft, indem man ihnen ein brauchbares Boot verschafft. Ehrlicherweise erklärt man ggf. auch Nachteile.

Immer wieder begegnet man dann Menschen, die sich nicht entscheiden können, bei denen das Nachfragen zum Selbstzweck wird. Die, wenn man schon alles wirklich ausführlich, wirklich sehr ausführlich erklärt hat, mit immer unwahrscheinlicheren und detaillierteren Fragen kommen. Fragen, die einen Preisunterschied von 1,20€ machen, deren Beantwortung aber eine Stunde braucht. Und solche schwerwiegenden Fragen fallen ihnen viele ein ... wenn man sich bis da hin schon viel Mühe gegeben hat, verliert man irgendwann die Freude dran.

Im vorliegenden Fall will also jemand neu einsteigen. Erklärt, dass er ein Boot kaufen möchte und führt mehrere Testfahrten mit fremden Booten von netten Menschen durch. Lässt sich ausführlich beraten, jedes Gespräch mehrere Stunden. Tenor des erfahrenen Beraters ist: "Kauf so ein Boot - und Du wirst glücklich!" Allerdings auf wissenschaftlicher Grundlage.

Weil man sieht, dass er es ernst meint, findet man einen verkaufswilligen Verkäufer, der ein wirklich günstiges Angebot macht und vermittelt ihn an den Kandidaten, der es mit dem Bootserwerb natürlich eilig hat. Dann tut sich monatelang gar nichts. Außer einem Anruf, ob denn dieses Boot wirklich - also: Wirklich wirklich - genau das richtige und günstigste ist, das sich irgendwo auf der Welt erwerben lässt.

Vom Verkäufer weiß man, dass er ebenfalls gutwillig ist und aus Zeitmangel einfach nur sein Boot abgeben will ohne es zu verschenken. Aber schon sehr günstig.

Eine Weile später erfährt man, dass der ahnungslose Verkäufer inzwischen genauso ausufernd bearbeitet wurde, sich Mühe gemacht hat, das verpackte Boot aufgebaut hat, von allen Seiten und in jedem Detail fotografiert und diese Bilder dann an den Interessenten verschickt hat. Danach noch einige Fragen nach sehr unwahrscheinlichen Umständen beantwortet und weitere Fotos geschickt.

Die Segelsaison hat ihren Höhepunkt bereits überschritten, Herbst nähert sich. Nun - denkt man - nachdem er inzwischen ein Vierteljahr in die Suche investiert hat, kann der Interessent eigentlich gar nicht anders als endlich zu kaufen. Der Kaufpreis für ein solches Boot liegt nicht etwa in schwindelerregenden Höhen, sondern etwa bei einem Drittel eines durchschnittlichen Gebrauchtwagens. Für nur das Doppelte des Verhandlungspreises bekäme man bei IKEA schon eine einfache Küche.

Dann bekommt der Blogautor wieder eine Frage gestellt: Was er denn nun tun würde, man sei ja schon eine Weile in Verhandlung und der Verkäufer habe vom ohnehin schon günstigen Angebot ein weiteres Drittel nachgelassen, und ob denn das Boot diesen Preis auch ganz bestimmt wert sei.

Diese Anfrage treibt den Blogautor zur Weißglut, da sich allein die Verkaufs­ver­handlungen inzwischen seit 3 Monaten hinziehen und der ganze Vorgang ein halbes Jahr. "ICH hätte das Boot vor 2 Monaten gekauft und wäre seither damit gesegelt!"

Beim Verkäufer ist man inzwischen unten durch, weil man ihm einen dermaßen anstrengenden Kunden verschafft hat. Einen weiteren Monat später erfährt man, dass der Verkäufer jetzt einen anderen Käufer gefunden hat und die Sache damit beendet ist. Kann man ja verstehen.

Dann trifft man den Interessenten zufällig auf der Bootsausstellung wieder und erfährt im Nebensatz, dass er inzwischen Geräte der Konkurrenz-Bootsklasse besichtigt. Wo man vorher so viel Aufwand getrieben hat, mag die Frage berechtigt sein, ob man nun stark verärgert oder eher sehr erleichtert sein soll. Jedenfalls ist die Sache vorläufig erledigt. Von der Konkurrenz weiß man aber, dass die sich so einen aufwändigen Service nicht leistet, sondern immer auf die höchst persönlichen eigenen Ziele achtet.

Zu guter Letzt ein Anruf: "Ich habe da jetzt so ein Boot von der Konkurrenz gekauft und ... da weiß man ja gar nicht, wie man das aufbauen soll?" Das ist die Umschreibung für "Willst Du mir nicht weiter helfen auch wenn ich Dich bereits völlig verarscht habe?" weil er nämlich selbst zu der Erkenntnis gekommen ist, dass ihn die Verkäufer über den Verkauf hinaus nicht weiter betreuen wollen.

Jeder Leser wurde sicher schon einmal vor den Kopf gestoßen und kennt das, die Hilfsbereitschaft lässt naturgemäß nach. "Äh, nein ... mit so einem Boot kenne ich mich gar nicht aus." Das ist nicht ganz zutreffend, aber es musste halt eine leicht durchschaubare Ausrede her. "Ach so?" Ja, schade, nicht?  

"Aber ... man weiß doch gar nicht, wo jedes Teil so hingehört! Was mache ich denn jetzt?" 

"Frag doch mal bei der anderen Bootsklasse nach, die müssten sich doch auskennen..." und vor allem haben sie so einen Kunden wirklich verdient. "Ja, dann, äh, dann brauche noch die Kontaktadresse der betreffenden Leute bei der Konkurrenz, bitte." Hilfsbereitschaft muss ja bestraft werden, finde ich auch. Außer "Ja ... weiß ich jetzt nicht ... bin ich nicht für zuständig ... Telefonbuch vielleicht...?" kriegt man dann nicht allzu viel raus.

Verzweifelt versucht man, die Sache irgendwo zwischen Gedankenlosigkeit und Verhöhnung einzuordnen. Weil der Mann über ein gutes Einkommen verfügt und der Kaufpreis so ungemein wichtig zu sein schien, fragt man aus Höflichkeit und reiner Neugier noch "Und, wieviel hat das neue Boot nun gekostet?" und erfährt: Ziemlich genau das doppelte, bei gleicher Größe.

Solches Verhalten als irrational zu bezeichnen ist wahrscheinlich überzogen, oder?

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Tja, schon Kassierwoman hat nicht mit Superquerulant gerechnet ...

Quelle: Der alte Sack, ein kleines A-Loch und andere Höhepunkte des Kapitalismus (W. Moers)

100 Goldfischli hat gesagt…

Bist Du das, Jörg?

Na, egal: Ich bin ja noch nicht mal die berüchtigte Kassierwoman (könnte auch von TOM sein, oder?) oder der grausame Maklerboy - wie soll ich da mit Ultrabootsinteressentman rechnen?

Grüße vom m³!

gez. microphantastman

Anonym hat gesagt…

Nee, das war ich damals. Richtig wissenschaftlich zitieren lernt man nur in Fachverlagen ;-)

D'Aintschie

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