09 März 2008

Ferne Welten


Wir befinden uns in nicht allzu ferner Zukunft, auf einem Planeten hundertzwölf Lichtjahre von der Erde entfernt. Der Planet wurde gerade zum ersten Mal von Menschen betreten. Sie haben dabei festgestellt, dass Flora und Fauna der Erde auf den ersten Blick ähneln - jedoch bei genauem Hinsehen sehr anders sind. Der Planet wird deshalb Frankensteins Zoo genannt. Den Raumfahrern ist manchmal langweilig


„DOC!“

„Hallo Käpt'n.“

„Doc! Wollen sie mir erklären, warum unsere Leitung glüht?“

„Was? Wir haben doch keinen Feueralarm - hier brennt doch nichts?“

„Doc, es wäre nett, wenn sie meine ernsten Fragen ernst nehmen könnten. Nein, hier brennt nichts.“

„Ach so? Na dann...“

„Doc - seit zwei Tagen versuche ich Kontakt zur Erde herzustellen...“

„Ja, bitte, tun sie das.“

„... aber es geht nicht, weil seit zwei Tagen unsere Leitung verstopft ist.“

„Oh, das kommt ihnen nur so lange vor. Hier auf Frankensteins Zoo sind doch die Tage viel kürzer.“

„Nein, kommt es nicht. Ich meine durchaus zwei Tage unserer Schiffszeit. Mehr als 48 Stunden. Unserer Zeit. Und die Tage hier sind länger als auf der Erde, nicht kürzer.“

„Außerdem haben wir hier ein anderes subjektives Zeitgefühl: Die Einsamkeit, die Entfernung zu unseren Familien, die Entfremdung...“

„Welche Entfremdung? Sie haben doch gar keine Familie.“

„Klar habe ich Eltern. Und wir haben auch einen Hund.“

„Doc, unsere Leitung zur Erde! Seit zwei Tagen! Voll!“

„Kann doch gar nicht sein.“

„Oh doch! Irgendjemand transportiert riesige Datenmengen von oder zu unserem Raumschiff...“

„Aha?“

„... der Ingenieur spricht mit niemandem freiwillig und meine Daten sind es auch nicht, also...“

„Ja, Käpt'n?“

„Doc! Hier ist weiter niemand außer ihnen! Tun sie nicht unschuldig. Was geht da vor!?!“

„Naja, ich... „

„Ja?“

„...ich...“

„Ja!“

„... ich habe Liebesbriefe ersteigert...“

„Ihre Orientierung ist mir bekannt.“

„... die Liebesbriefe von Alexander Puschkin.“

„Aha.“

„Alexander Puschkin!“

„Aha. Und deshalb glüht unsere Leitung. „

„Nun...“

„Ich hatte ihnen schon letztes mal gesagt, dass unsere Sicherheit vorgeht.! Haben sie etwa wieder ihre Mailadresse angegeben?“

„Nein! Wie könnte ich...?“

„Ganz leicht könnten sie! Letztes mal habe ich einen Monat gebraucht, bis ich den Virus entfernt und die ganze befallene Software repariert hatte. Hundertzwölf Lichtjahre von der Erde entfernt! Weil sie sich Viren schicken lassen!“

„Nein! Wirklich nicht!“

„Wenn das noch mal vorkommt, erschieße ich sie und restauriere sie erst wieder auf der Erde aus ihrem Backup. Und dafür nehme ich ihre virenverseuchten Sicherungskopien!“

„Nein, Käpt'n, ich habe nicht...“

„Was ist jetzt mit unserer Leitung? Was macht der Putschki?“

„Puschkin!“

„Egal wie der Typ heißt - warum geht unser Telefon nicht?“

„Ich habe die Liebesbriefe von...“

„DOC!“

„Also: Ich habe eine Ikone der Lyrik der Menschheit gewonnen - im Original! Die wollte ich nun mal gerne sehen und habe mir einen Platzhalter schicken lassen.“

„EINEN PLATZHALTER? Doc, ich kenne sie - was man so kennen nennt. Sie haben sich eine Kopie schicken lassen, oder?“

„Wenn sie es sagen...“

„Sie sind doch niemals mit einem Platzhalter zufrieden, mit einer simplen Abbildung! Sie lassen sich hier EINE KOPIE ihrer Liebesbriefe schicken - Informationen Molekül für Molekül! Die Daten über zig Milliarden Moleküle, Stück für Stück. DAS Verstopft unsere Leitung!“

„Wenn schon.“

„Und als nächstes wollten sie den 3D-Erzeuger auf unserem Schiff damit beschäftigen, dass er aus den Daten echte Briefe macht, oder?“

„Na und? Dafür haben wir das ganze technische Zeug doch.“

„Nein, haben wir nicht! Das technische Zeug ist unsere Lebensversicherung! Das soll Essen herstellen oder im Zweifelsfall unsere Körper-Backups restaurieren, meins und das vom Ingenieur - ihres werde ich am besten löschen und den leeren Speicher in den Weltraum schießen.“

„Was regen sie sich denn so auf? Ich wollte eben das Original in den Händen halten, war ja teuer genug.“

„Unsere Sicherheit! Wenn ich nicht mit der Erde telefonieren kann ist unsere Sicherheit gefährdet!“

„Na und? Wir waren doch schon öfter ohne Kontakt.“

„Aber nicht wegen Liebesbriefen.“

„... von ALEXANDER PUSCHKIN!“

„Egal von wem.“

„Das ist nicht irgendwer! Das ist DER....“

„DOC! Es ist mir egal, wer das ist. Unsere Kommunikation mit der Erde ist unterbrochen wegen ihrer verdammten Liebesbriefe!“

„... VON ALEXANDER PUSCHKIN! Und die möchte ich gerne in den Händen halten. In meinen Händen! Persönlich!“

„Doc, unsere Sicherheit...“

„Das sind ORIGINAL BRIEFE von PUSCHKIN!“

„Das sind keine Originale.“

„Wohl!“

„Die Originale liegen auf der Erde.“

„Sie werden Molekül für Molekül hierher geschickt - sie sind völlig identisch mit dem Original!“

„Nein. Die Information über die Moleküle wird hierher geschickt und hier baut sie unser 3d-Erzeuger aus gleichen Molekülen nach. Das ist nicht dasselbe.“

„Trotzdem sind sie identisch. Gleiche Moleküle - selber Aufbau: Kein Unterschied.“

„Doc! Selbst wenn ihr Alexander Puschkin original-unglückliche Tränen auf diese Briefe geweint hat, und selbst wenn die Struktur dieser Briefe mit den getrockneten Tränen Molekül für Molekül hierher übermittelt wird - DAS sind nicht die Originale! Die Originale liegen auf der Erde. Dort werden sie von den Tränen der Verliebten getroffen, dort atmen sie den Staub der Jahrhunderte. Und wenn sie sie hierher mitnehmen wollen, müssen sie das persönlich tun, und sich nicht elektronische Kopien schicken lassen.“

„Trotzdem! Ich will Alexander Puschkins Liebesbriefe anfassen. Fühlen! Mit meinen eigenen Händen!“

„Was sie hier anfassen, auf Frankensteins Zoo, hundertzwölf Lichtjahre entfernt von der Erde, sind Kopien. Und das beste, was sie damit tun können ist: Vernichten. Denn die Originale liegen auf der Erde. Und nur sie tragen die Sehnsucht, die Liebe, und den Wahnsinn, der ihr innewohnt.“

„Käpt'n, ich dachte sie sind Naturwissenschaftler?“

„Bin ich.“

„Käpt'n, sie überraschen mich immer wieder...“

„Ja, schon gut. Wann kann ich wieder telefonieren?“

„Heute abend, wahrscheinlich.“


 

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