27 Oktober 2006

Funktelefonie

"Ich hab das Handy ja nur, damit man mich im Supermarkt an der Kasse anrufen kann..."

...ist so meine Standardeinstellung zum Umgang mit der modernen Welt und der überaus wichtigen Funktelefonie. Ich sage das zwar reflexhaft, jedoch mit bewusst hineingestreuter Ironie. Ja!

Tatsächlich ist es aber schon einige Male vorgekommen, dass mich just an der Kasse ein Anruf ereilte. Ich sehe dann kurz nach, wer da anruft und wende mich wieder den Vorgängen direkt vor meiner Nase zu, mit dem eingangs erwähnten Satz, zu der Kassiererin (sind oft Frauen) gewandt:
"Ich hab das Handy ja nur, damit man mich im Supermarkt an der Kasse anrufen kann."
Das sorgt dann manchmal für eine lockere Atmosphäre und eine angenehme Stimmung in diesem trüben Laden.

Kürzlich erst anwortete aber eine Kassiererin dankbar:
"Na, SIE hören wenigstens auf zu telefonieren..."
Konnte ich nicht glauben und musste nochmal nachfragen:
"Wieso? Gibt's sowas auch, dass einer telefoniert, während der hier bezahlt?"
Und sie versicherte mir hoch und heilig:
"Sie glooben ja nich wie oft dit vorkommt!"
Stimmt, konnte ich wirklich nicht glauben.

Vorhin stehe ich im Supermarkt an der Kasse und erzähle meiner Einkaufsbegleitung genau diese Geschichte, unter Anwendung der eingangs detonierten Poente¹. Kaum habe ich es erwähnt, beginnt vor mir in der Schlange einer zu telefonieren. Er ist als übernächster dran, es wäre also mehr als genug Zeit für sowas wie "Sorry, ich bin jetzt gleich dran. Ich ruf Dich zurück, oder melde dich doch in drei Minuten nochmal!" Aber der dort vorne hört nicht auf.

Eigentlich wirkt der auf mich gar nicht so schwindelerregend erfolgreich, Mitte dreißig, Sportanorak ², mittelbillige Schuhe, nix Besonderes an dem Typen das auf außergewöhnliche Wichtigkeit hindeuten würde. Aber das ist eben äußerlich. Jedenfalls telefoniert er weiter und ich denke: "Irgendwann muss er doch mal aufören, gleich ist er doch dran?" Aber der presst munter weiter das Telefon gegen sein Ohr und horcht aufmerksam hinein und antwortet brav und plaudert Belanglosigkeiten, "haha, ja ja, genau!" Einen Freisprechrüssel hat er selbstverständlich nicht, also auch nur eine Hand frei.

Die Kassiererin nimmt die Sache gelassen und schiebt seine Sachen über den Scanner. Am Ende sagt sie einen Preis, und weil sie das Drama anscheinend schon kennt deutet sie nochmal mit dem Finger auf die Anzeige der Kasse - sie will den Telefonisten ja nicht bei seiner wichtigen Tätigkeit stören. Der kriegt mit einer Hand irgendwann doch noch das Portemonnaie aus dem Sportanorak gefummelt, macht es mit einer Hand auf und wirft irgendwelches Geld auf den Tresen. Steckt das Wechselgeld in die Tasche und will die Sachen mit einer Hand einsacken. Jetzt ist aber sein Gespräch überraschend doch zu Ende gegangen und er kann sogar beide Hände benutzen, "genau, ja ja, bis dann, ha ha."

Dabei sehe ich, dass der Typ nur Bioprodukte gekauft hat. Ich wünsche ihm eine lange, anstrengende und erfolglose Existenz und denke mir so:
"...kauft Bioprodukte für ein möglichst gesundes Leben - aber hat nicht mal die Grundzüge sozialen Zusammenlebens verstanden. Wofür will der Typ überhaupt alt werden?"
Aber vielleicht erscheint das ja auch nur mir als Widerspruch.




¹ das ist das ironische an dieser Poente: Dass sie immer am Anfang kommt, und danach eine ellenlange Geschichte, und dann gar nichts mehr.

² Na, was habt ihr da zuerst gelesen? Etwa Sportanorak? Schönes Wort, nicht?

Keine Kommentare:

kostenloser Counter